Wenn Erwachsene ein Instrument lernen

Stuttgart – «Selbst Musik zu machen, ist ein angenehmes Gefühl», sagt Carola Misgeld. «Ich empfinde es als extrem erholsam.» Die 50-Jährige spielt Klarinette – und das erst seit ein paar Jahren. Sechsfache Mutter, Oberärztin in der Notaufnahme der Charité, Vollzeitbeschäftigte.

Man könnte meinen, dass da keine Zeit für anderes bleibt. «Stimmt fast», sagt Misgeld. Tatsächlich war genau das einer der Gründe, warum die Wahlberlinerin ein Instrument lernen wollte. «Sich mit Noten und Musik zu beschäftigen, lässt einen für eine halbe Stunde alles außen herum vergessen.» Sie suchte einen Ausgleich – etwas, das sie «schnell aus dem anstrengenden Alltag herausbeamt».

«Kein Einzelfall», sagt Matthias Pannes. Der Bundesgeschäftsführer vom
Verband deutscher Musikschulen in Bonn kennt viele Schüler wie Misgeld. «Aus meiner Erfahrung fangen immer mehr Menschen mit 50 Jahren aufwärts damit an, ein neues Instrument oder überhaupt ein Instrument zu spielen», sagt Cello- und Kontrabasslehrer Marcus Löffler aus Stuttgart. Sein ältester Schüler ist 70 Jahre alt.

Spielfreude ist das A und O

Zum einen gibt es dabei Erwachsene mit Vorerfahrungen. Sie haben etwa in der Familienphase nicht mehr gespielt und steigen danach wieder ein. Und es gibt die Neueinsteiger. Da stellt sich die Frage: Sind Notenkenntnisse vorhanden oder nicht? «Das sind natürlich grundlegende Unterschiede. Da muss man als Lehrer anders herangehen» sagt Pannes. Er findet: Egal, welche Variante – die Spielfreude sollte immer im Vordergrund stehen.

So sieht das auch Carola Misgeld. Als Kind hatte sie eine Zeit lang Klavierunterricht, aber Üben als Zwang empfunden. Es machte keinen Spaß. «In diesen alten Frust wollte ich nicht mehr reinrutschen.» Deshalb entschied sie sich, auf einem anderen Instrument neu anzufangen – der Klarinette ihres früh verstorbenen Bruders.

Jeder lernt anders

Wer als Erwachsener mit einem Instrument anfängt, sollte zu Beginn mindestens alle 14 Tage Unterricht nehmen und regelmäßig spielen, rät Löffler. «Annähernd 30 Minuten täglich üben macht großen Sinn. Bei 10 Minuten pro Tag kommt man nur sehr langsam voran.»

Schüler und Lehrer können gemeinsam klären, welches Ziel erreicht werden soll. Welche Musik soll es sein – Klassik, Jazz oder Pop? Gibt es den Wunsch, möglichst schnell in einem Ensemble, Orchester oder in einer Band zu spielen? Oder geht es nur um die tägliche Abwechslung? Dann wird schnell klar, wie viel Aufwand jeweils nötig ist.

Genau wie bei Kindern gibt es auch bei Erwachsenen unterschiedliche Lerntypen. «Jemand, der motorisch fit ist, lernt anders ein Instrument als derjenige, der eher sprachliche Stärken hat», sagt Pannes. Mancher geht systematisch ran, ein anderer chaotisch.

Bis heute setzt sich Misgeld immer wieder musikalische Ziele. Wählt sie ein neues Stück, nimmt sie sich ein bestimmtes Datum vor, um die Literatur bis dahin flüssig spielen zu können. «Das ist natürlich mitunter schwierig mit meinem Arbeitspensum, auch dorthin zu kommen.»

Einstieg meist in jedem Alter möglich

Grundsätzlich ist es nie zu spät, ein Instrument zu lernen. «Im Alter 50 aufwärts ein Instrument zu lernen, lohnt sich das auf jeden Fall», sagt Löffler. Durch das Training für Gehirn und Motorik kann man sich unter anderem seine Fingerfertigkeit bis ins hohe Alter erhalten.

«Selbst für ältere Senioren gibt es geeignete Instrumente, zum Beispiel die Veeh-Harfe», sagt Pannes. Das ist ein Zupfinstrument, eine Art Mischung zwischen Tischharfe und Zitter. Die Veeh-Harfe wird nach Zahlen und Tabellen gespielt. Diese werden auf einem Papier angezeigt, das unter den Saiten liegt. So weiß der Spieler, wann welche Saite gezupft werden muss.

«Man muss einfach altersgerecht vorgehen und auf die individuellen Möglichkeiten eingehen», so Pannes. Innerhalb dieses Rahmens ist viel möglich. «Geige mit 70 Jahren neu anzufangen, macht wenig Sinn», findet Löffler. Klavier kann man aber zum Beispiel bis hin zu schwieriger Literatur lernen, solange die körperlichen und geistigen Möglichkeiten des Erwachsenen vorhanden sind.

Misgeld jedenfalls kann sich ein Leben ohne Klarinette nicht mehr vorstellen. Derzeit übt sie den «Tin Roof Blues» von den New Orleans Rythm Kings. Als ganz besonders erlebt sie die Momente, in denen sie mit ihrem Mann, der Trompete und Gitarre spielt, und Freunden zusammen Hausmusik macht – am liebsten Klezmer.


(dpa/tmn)

(dpa)