Angst im Alltag: Scheuklappen sind keine Lösung

Berlin – Anschläge und Terror sollen Angst auslösen – und sind damit häufig auch erfolgreich. Doch wie viele misstrauische Blicke in der U-Bahn und auf der Straße sind zu viele? 

Wer ständig nervös ist, sollte sich bewusst machen, wie unwahrscheinlich eine schlimme Situation ist, empfiehlt die Psychologin Gabriele Bringer im Themendienst-Gespräch. Einfach auf Dauer Scheuklappen aufzuziehen, sei aber ungesund – wenn auch zeitweilig eine Lösung.

Wenn ich mich dabei ertappe, ständig misstrauisch meine Umgebung zu beobachten – muss ich damit aufhören?

Es wäre schon empfehlenswert, damit aufzuhören, wenn man so verängstigt ist. Angst ist eigentlich eine wichtige Eigenschaft, sie macht uns wachsam und aufmerksam. Wenn sie aber permanent anhält und lange Zeit nicht abgebaut wird, kommt es zu einer Überforderung des gesamten Systems. So wären wir nicht leistungsfähig, mit schwierigen Situationen umzugehen, wenn sie tatsächlich auftreten sollten.

Wie lerne ich, mit der eigenen Angst umzugehen?

Vielen hilft es, sich vorzustellen, mit welch geringer Wahrscheinlichkeit etwas eintreten wird. Ein Weg ist auch, sich auf das Hier und Jetzt zu konzentrieren – wenn ich zu einem Konzert gehe, kann ich mir sagen: Das ist es mir wert. Denn man sollte sich bewusst machen, wie vielen Menschen man vertrauen kann. Die meisten sind keine Selbstmordattentäter. Vielfach hilft ein genereller Plan: Falls etwas passiert, wie kann ich handeln?

Kann das nicht auch wieder zu übertriebener Wachsamkeit führen?

Ja, sicher. Wenn man tief verängstigt ist, kann das passieren. Vorbereiten heißt, sich eine Checkliste zu erstellen: Ich kann flüchten, ich kann helfen, ich kann jemanden anrufen, und so weiter. So muss man nicht konkrete Fluchtpläne für jeden Ort der Welt erstellen.

Ist es auch eine Option, quasi die Scheuklappen aufzuziehen und alles zu ignorieren?

Bei den meisten erlebe ich, dass zwar Befürchtungen da sind, sie aber ohnehin vom alltäglichen Leben überlagert werden. Auf Dauer bringt es aber auch nichts, schlimme Nachrichten zu ignorieren. Zeitweilig mag es nützlich sein, aber generell kann man gar nicht ausblenden, was Alltagsthema ist. Und wenn ich immer nur ausblende, führt das zu Vermeidungsverhalten.

Wann wird Achtsamkeit ungesund?

Anzeichen sind extremes Misstrauen sogar für normale Situationen, die man früher ganz alltäglich erlebt hat. Der Körper reagiert darauf ähnlich wie auf großen Stress: Das braucht den Akku auf, man verliert Energie, Genussfähigkeit, Freude, wird schreckhaft. Das sind heftige Zeichen einer Angst, die sich verselbstständigt hat, und die nicht mehr hilfreich ist.

Verschärfen Ereignisse wie Anschläge die Angst oder gibt es einen Typ Mensch, der ohnehin eher dazu neigt? 

Manche sind anfälliger, das hat verschiedenste Ursachen. Aber eindeutig steigt bei allen die Angst, wenn etwas vorfällt – in welchem Maße, das ist unterschiedlich. Nach dem Anschlag von Nizza im Juli habe ich mit Menschen gesprochen, die Kinder in dem Alter haben, wie sie dort zu Tode gekommen sind. Da kam sofort die Reaktion: Was wäre, wenn es meinem Sohn passiert? Passiert etwas in Situationen oder an Orten, die einem bekannt sind oder dem eigenen Leben ähneln, steigt die Angst deutlich mehr, als wenn etwas weit entfernt geschieht.


(dpa/tmn)

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