Zahlen oder Zocken? Das Bitcoin-Dilemma

Berlin/New York – «Ich kann mich nicht mehr erinnern, wann der letzte Kunde mit Bitcoin bezahlt hat», sagt Niels Göttsch. Der Besitzer der Kaffeebar Leuchtstoff in Berlin Neukölln ist bei Weitem nicht der einzige Ladenbetreiber, dem es so geht.

Zwar etabliert sich Bitcoin in der Finanzwelt und eilt von einem Rekordhoch zum nächsten. Doch dieser Erfolg führt zu einem Dilemma. Denn was eigentlich als digitale Währung gedacht war, droht zum reinen Spekulationsobjekt zu werden. Zum Bezahlen eignet sich Bitcoin dadurch nur noch bedingt. Für Ladenbesitzer und Online-Händler sind extreme Kursausschläge unangenehm – die Preise müssen ständig angepasst werden. Und wer will schon Geld ausgeben, das keine stabilen Wert hat und eher zur Spekulation auf Kursgewinne einlädt?

«Was wir von einem monetären System wollen, ist nicht, dass es Leute reich macht, die Geld horten», sagte US-Ökonom Paul Krugman einst. «Wir wollen, dass es für Transaktionen genutzt wird und die Wirtschaft als Ganzes reich macht». Doch genau das ist bei Bitcoin, dessen Wert seit Jahresbeginn von rund 1000 auf zeitweise über 20 000 Dollar stieg, derzeit nicht der Fall. Taugt das Digitalgeld überhaupt noch als Zahlungsmittel oder nur noch zum Zocken?

In Berlin, wo seit Jahren immer mehr hippe Cafés und Start-Ups Bitcoin-Zahlungen anbieten, macht sich das Problem bereits bemerkbar. Anfangs habe es wenigstens noch um die zehn Bitcoin-Zahlungen pro Jahr gegeben, sagt Kaffeebar-Besitzer Göttsch. Inzwischen seien die Transaktionen aber ganz versiegt. «Die Mitarbeiter vergessen schon, wie das mit der Bitcoin-Annahme überhaupt funktioniert.»

Auch die Berliner Konditorei Engelmann bekommt in letzter Zeit gar keine Bitcoin-Anfragen mehr. Es habe immer wieder Probleme gegeben, sagt Besitzer Michael Engelmann. So hätten etwa Kunden aus Versehen das Geld doppelt überwiesen, weil sie nicht sicher waren, ob die Transaktionen tatsächlich stattgefunden haben. Dabei schien Bitcoin eine Zeit lang auch als Zahlungsmittel stark auf dem Vormarsch.

Rückblick ins Jahr 2014: In den USA führten Großkonzerne wie Dell, Expedia oder Microsoft die Kryptodevise als Zahlungsoption ein. Auch Ebay flirtete öffentlich mit diesem Schritt. Der Kurs machte damals zwar keine so großen Sprünge und litt zeitweise sogar so heftig, dass erhebliche Zweifel an der Zukunft des Bitcoin aufkamen – aber die Verbreitung im alltäglichen Leben nahm stetig zu.

Im trendigen New Yorker West Village wurde der erste Geldautomat der Stadt aufgestellt, an dem Bitcoin mit Dollar gekauft werden konnten. An der Wall Street machte das Bitcoin Center auf, eine Info- und Lobby-Zentrale der jungen Start-up-Branche rund um das 2009 eingeführte Digitalgeld. Und nicht mehr nur in den Fenstern szeniger Geschäfte, Bars und Restaurants tauchte immer öfter der Sticker mit der Aufschrift «Bitcoin accepted here» auf.

Rund vier Jahre später erreicht der Bitcoin-Hype zwar täglich neue Dimensionen, doch eine Spurensuche vor Ort zeigt: Den Laden im West Village gibt es nicht mehr, das Bitcoin Center ist geschlossen. «Wir konnten uns die Miete einfach nicht mehr leisten», sagt Gründer Nick Spanos. Man habe in schlechteren Zeiten viele Bitcoin geopfert, um den Betrieb aufrechtzuerhalten, doch irgendwann sei es zu teuer geworden. Von der Kursrally profitierten nun vor allem andere.

Spanos macht weiter Lobbyarbeit für Bitcoin, betreibt inzwischen aber nur noch ein kleines Büro außerhalb des Finanzdistrikts. Immerhin: Der Bitcoin-Geldautomat ist noch da. Er steht jetzt bei einem Maklerbüro im Souterrain. «Wir haben damit nichts zu tun», so Spanos.

Wie sieht es bei den großen Unternehmen aus, die damals Schlagzeilen machten? Computer-Riese Dell hat Bitcoin-Zahlungen wegen «geringer Nachfrage» längst wieder abgeschafft. Bei Ebay hüllt man sich über Bitcoin-Pläne in Schweigen, auch Ex-Tochter Paypal gibt keine Auskunft zu Krypto-Experimenten. Microsoft und der «Time»-Verlag wollen sich zu ihren Erfahrungen mit Bitcoin ebenfalls nicht äußern.

Das Online-Reisebüro Expedia akzeptiert Bitcoin zwar nach wie vor – aber noch immer nur bei Hotelbuchungen auf der US-Website. Zum Start vor mehr als drei Jahren hatte es noch geheißen, das Angebot werde erweitert, wenn es bei Kunden gut ankomme. Laut einer Sprecherin hat sich das Transaktionsvolumen in den vergangenen zehn Monaten immerhin verdoppelt. Konkrete Zahlen wollte sie jedoch nicht nennen.

Anfang Dezember sah sich sogar der Online-Computerspielehändler Steam trotz seiner cyber-begeisterten Kundschaft gezwungen, die Bitcoin-Annahme einzustellen. Die Gebühren seien rasant gestiegen – von anfangs 20 Cent pro Transaktion auf zuletzt fast 20 Dollar. Hinzu kommen die enormen Wertschwankungen. «Falls die Transaktion nicht zeitgerecht abgeschlossen wurde, kann sich der benötigte Betrag für die Bezahlung ändern», heißt es bei dem Online-Händler. Dann werden Nachzahlungen nötig; und erneut wird eine Transaktionsgebühr fällig.

Der führende Bitcoin-Zahlungsabwickler Bitpay zieht dennoch ein positives Fazit für 2017. «Wer nicht unter einem Stein lebt, wird gesehen haben, dass das tägliche Transaktionsniveau in diesem Jahr neue Höchststände erreicht hat», heißt es von dem Unternehmen aus Atlanta. Man habe erstmals Zahlungen von mehr als einer Milliarde Dollar ausgeführt, das Wachstum betrage 330 Prozent auf Jahressicht.

Das klingt stark, verblasst aber in Relation zum Bitcoin-Kursanstieg, der im gleichen Zeitraum in der Spitze bei über 2000 Prozent lag. Auch gemessen am gesamten E-Commerce-Markt ist das Zahlungsvolumen eher bescheiden. Zum Vergleich: Alleine bei der Rabattschlacht «Cyber Monday» wurden mehr als sechs Milliarden Dollar im Internet ausgegeben – an einem einzigen Tag und nur in den USA.

Der Bitcoin-Gemeinde ist durchaus bewusst, dass die Vereinnahmung durch Spekulanten ihrem Ziel einer freien Währung schaden kann, die Dollar oder Euro einmal Konkurrenz machen könnte. Nicht zuletzt, um Transaktionen zu erleichtern und der Zockerei etwas entgegenzusetzen, wurde im August nach langen Querelen in der Community der Bitcoin Cash vom Bitcoin abgespalten. Seitdem ist der Kurs aber auch hier explodiert. Und der Versuch der Handelsplattform Coinbase, Bitcoin Cash aufzunehmen, hat nur zu weiteren Turbulenzen geführt – der Hype um Kryptogeld scheint einfach zu groß, um Spekulanten fernzuhalten.

So bleibt den Bitcoin-freundlichen Händlern nichts als Zweckoptimismus. Zwar werde die angebotene Bitcoin-Zahlung bislang kaum genutzt, sagt Björn Krämer vom Berliner Bestattungsinstitut Mymoria. Man gehe aber von steigendem Interesse aus. Zumindest aus Marketing-Sicht hat sich der Aufwand ohnehin schon gelohnt: Er hat Mymoria als erstes «digitales Bestattungshaus» landesweit in die Schlagzeilen gebracht – mit dem Traum der Bitcoin-Freunde vom unabhängigen Cyber-Geld hat das jedoch genauso wenig zu tun wie die schwindelerregenden Bitcoin-Spekulationen an den Finanzmärkten.


(dpa)

(dpa)