Wo Car-Sharing noch seine Tücken hat

Stuttgart – Randlage ist in Stuttgart eigentlich begehrt und

teuer. Wer es sich leisten kann, meidet den engen Talkessel und wohnt

lieber etwas abseits – mit entsprechendem Aufpreis, versteht sich.

Bei Car2Go, Daimlers Car-Sharing-Dienst, ist es neuerdings umgekehrt:

Wer in ein eher einsam am Stadtrand abgestelltes Fahrzeug einsteigt,

zahlt nun oft weniger als bisher. Wer hingegen zur Hauptverkehrszeit

in der verstopften Innenstadt ein Car2Go-Auto bucht, bekommt mehr

berechnet. Randlagen-Rabatt gegen City-Zuschlag, und zwar nicht nur

in Stuttgart, sondern überall in Deutschland.

Hinter der Änderung der Preispolitik steckt ein Problem, das es nicht

nur hier und auch nicht nur bei Car2Go gibt. Es plagt alle, die

Car-Sharing nach dem sogenannten Free-Floating-Prinzip anbieten –

also ohne feste Anmietstationen.

Ein Auto an der nächsten Ecke

Für die Nutzer ist dieses Konzept ausgesprochen praktisch, weil sich

oft gleich um die Ecke ein Leih-Auto findet und es nahezu überall

innerhalb eines bestimmten Radius wieder abgestellt werden kann. Für

die Anbieter aber hat das System einen Haken: Wird ein Fahrzeug in

einer wenig frequentierten Gegend, meist irgendwo am Rand des

Geschäftsgebiets, abgestellt, steht es dort unter Umständen

stundenlang ungenutzt herum. Und wie bei Flugzeugen, Schiffen, Last-

und Lieferwagen gilt auch beim Car-Sharing: Stillstand kostet Geld.

«Die Standzeiten der Fahrzeuge zu verkürzen, ist eine grundsätzliche

Herausforderung des Free-Floating-Konzepts, je nach Stadt mal mehr

und mal weniger», sagt ein Sprecher von Car2Go. Die Frage sei: «Wie

bekommt man die inaktiven Fahrzeuge aus den Bereichen mit geringer

Nachfrage heraus – und in Bereiche mit höherer Nachfrage herein?»

Denn steuere man nicht aktiv gegen, gebe es irgendwann zu viele

inaktive Autos in Randgebieten – und an den Hotspots der Innenstädte,

wo sie gebraucht würden, nicht mehr genug.

Wechselnde Preise

Etwa 15 Mal am Tag wird jedes Car2Go-Auto im Wochendurchschnitt

gemietet, es können aber auch mal über 20 Anmietungen sein – zum

Beispiel in Berlin, in den 24 Stunden ab Freitagnachmittag, wie das

Unternehmen vorrechnet.

Damit die Werte nicht deutlich darunter fallen, versucht es Car2Go

nun mit den wechselnden Preisen, um Menschen zu animieren, in ein zu

lange ungenutztes Auto einzusteigen. In Stuttgart etwa wurde vor gut

einem Jahr auch schonmal das Geschäftsgebiet deutlich verkleinert.

Dadurch fielen Gegenden weg, in denen häufig Autos strandeten.

Zum Hotspot locken

Auch bei DriveNow von BMW, jetzt noch Konkurrenz, bald aber Partner

von Daimler in einem neuen Gemeinschaftsunternehmen, kennt man das

Problem. Komplett flexibel ist das Preissystem dort zwar nicht.

Geringere Minutenpreise für Autos, die zu lange ungenutzt sind, gibt

es aber auch, wie ein Sprecher erklärt. Oder, wie in Köln, kostenlose

Bonusminuten für Kunden, die ein Fahrzeug wieder zurück an einen

Hotspot fahren. Auch Anpassungen der Geschäftsgebiete gebe es je nach

Stadt immer wieder, sagt der Sprecher. Durchaus könnten die dadurch

auch mal größer werden, zum Beispiel um eine gut frequentierte

Bahn-Station noch einzubinden.

Aber bringt das alles auch was? «Die Menschen sind schon sehr

preissensitiv», sagt Verkehrsforscher Martin Kagerbauer vom

Karlsruher Institut für Technologie. Insofern könne die Taktik schon

Erfolg haben. Auch ein möglichst homogen gestaltetes Geschäftsgebiet

sei wichtig. Aber letztlich habe man es eben mit Menschen zu tun und

die verhielten sich nicht immer rational. «Man wird so nicht alle

Standorte der Fahrzeuge ändern können. Aber es ist ein erster

Schritt, das zu steuern», sagt Kagerbauer.

Relocation-Fahrten und Service-Maßnahmen

Ansonsten müssten die Anbieter Mitarbeiter losschicken, um die Autos

zurückzuholen – was die in manchen Fällen auch machen. «Aber man hat

sehr schnell gesehen, dass sich das nicht lohnt», sagt Kagerbauer.

«Es rechnet sich wirtschaftlich nicht.» Car2Go etwa versucht deshalb,

solche manchmal unvermeidbaren Aktionen mit ohnehin notwendigen

Service-Maßnahmen an den Autos zu verbinden. Gesteuert wird das Ganze

von einem Algorithmus, der dem Mitarbeiter auch sagt, wo er das

Fahrzeug am Ende wieder abstellen soll.

Im September etwa betraf dieses Prozedere in Berlin rund zwei Prozent

aller Fahrten der dort stationierten Autos. Ein weiteres Prozent

waren reine sogenannte Relocation-Fahrten, also Touren, die allein

dazu dienten, das jeweilige inaktive Fahrzeug wieder in eine

belebtere Gegend zu bekommen.

Mögliche Lösung für die Zukuft: Autonomes Fahren

Ideal ist das alles nicht. Auch DriveNow spricht zwar von eher

vereinzelt auftretenden Fällen – die seien dann aber mit hohem

Aufwand und entsprechenden Kosten verbunden.

Abhilfe könnten autonom fahrende Autos schaffen, wenn es sie dann

irgendwann gibt. Die parken sich dann – gesteuert vom Computer –

selbst immer genau da, wo sie gerade gebraucht werden. Die

Standzeiten gingen dadurch praktisch gegen null, dafür würde sich die

Verfügbarkeit deutlich erhöhen, rechnet Car2Go vor. «Wir kalkulieren,

dass wir in der autonomen Zukunft den heutigen Bedarf mit nur 50

Prozent der Fahrzeuge abdecken könnten», sagt ein Sprecher.

Diese Reduzierung der Fahrzeugzahl wäre auch dringend notwendig.

Sonst bestehe durchaus die Gefahr, dass ganze Flotten leer und allein

in der Gegend herumfahrender Car-Sharing-Autos wieder für mehr

Verkehr sorgten, warnt Experte Kagerbauer. «Das wäre dann

kontraproduktiv», sagt er. Denn eigentlich ist Car-Sharing ja genau

für das Gegenteil gedacht.


(dpa)

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