Wie Pflegeheime das Weglaufen von Demenzkranken verhindern

Erfurt – Rita Münster kann sich noch genau an diese Nacht erinnern, von der sie sagt, dass sie froh darüber gewesen sei, als sie vorbei war. «An Schlaf war nicht zu denken», sagt die Leiterin eines Pflegeheims. Eine demenzkranke Bewohnerin war verschwunden.

Gegen 17.00 Uhr hatte die Frau das Pflegeheim verlassen, wie Münster erzählt. Zunächst suchten Mitarbeiter des Hauses nach ihr, dann die Polizei. «Gegen Mitternacht kam ein Leichensuchhund.» In dieser Nacht seien es draußen nur zwei, vielleicht drei Grad gewesen, erinnert sie sich. Die Gefahr des Erfrierens sei groß gewesen. Die ganze Nacht über saß sie mit einigen ihrer Kollegen im Heim. Die alte Dame wurde am nächsten Tag wohlbehalten gefunden.

Fälle wie diese sind keine Seltenheit. In ihrem Pflegeheim habe es schon lange keinen solch großen Einsatz mehr gegeben, sagt Münster, die ihren richtigen Namen wegen des sensiblen Themas für die Heimbetreiber nicht genannt haben will.

Genaue Zahlen, wie viele Demenzkranke jedes Jahr von der Thüringer Polizei gesucht werden, liegen die Beamten nicht vor. Solche Einsätze forderten die Beamten jedoch in besonderem Maße – ähnlich wie die Suche nach verschwunden Kleinkindern, ordnet der Sprecher der Landespolizeidirektion, Jens Heidenfeldt, ein. «Gerade ältere Menschen sind durch reduzierte Widerstandsfähigkeit oder das Angewiesensein auf Medikamente besonders gefährdet.» Es könnten relativ schnell lebensbedrohliche Zustände eintreten. Bei der Suche nach Demenzkranken sind deshalb neben vielen Beamten sehr schnell auch Polizeihubschrauber und Suchhunde im Einsatz.

Um den Kranken, den Heimmitarbeitern und der Polizei derartige Einsätze mit Risiken und Strapazen zu ersparen, versuchen Heimleiter wie Münster mit vielen Maßnahmen und Ideen zu verhindern, dass die zumeist alten Menschen sich allein auf den Weg machen. Es gebe eine sehr einfache Methode, die Demenzkranken im Heim zu halten: «Beschäftigung ist das Allerbeste und das Allerwichtigste.» Wer beschäftigt sei, komme in der Regel nicht auf den Gedanken, noch einen Spaziergang machen oder in sein altes Zuhause zurückkehren zu wollen, sagt die Leiterin.

Doch im Alltag sei dies nicht so einfach: Jeder Demenzkranke sei anders und sollte auch so behandelt werden. Zudem seien die personellen Möglichkeiten in den Heimen begrenzt, die Frauen und Männer dauerhaft zu beschäftigen, gibt Münster zu bedenken. Deshalb gebe es inzwischen auch elektrische Chips in Schuhen der Hausbewohner. Sie geben dem Pflegepersonal ein Signal, wenn die Kranken den Eingang passieren.

Außerdem haben viele Häuser in den sie umgebenden Grünanlagen «Anziehungspunkte» wie Aquarien oder Vogelvolieren geschaffen – in der Hoffnung, dass die Demenzkranken nach Verlassen des Hauses dorthin gehen. In vielen Heimen werden zudem Menschen, die eine «Lauftendenz» hätten, in den oberen Etagen der Häuser untergebracht. Die Gefahr, dass sie zum Hauseingang gelangten, sei so geringer.

Auch bei der Frau, die vor einigen Jahren unbeabsichtigt weggelaufen sei, habe das funktioniert, sagt Münster. «Wir haben sie dann vom Erdgeschoss in die dritte Etage verlegt, und sie ist nie wieder wegelaufen. Sie hat noch viele Jahre bei uns gelebt.»

Für Britta Richter, der für Pflege zuständigen Referentin beim Paritätischen Wohlfahrtsverband Thüringen, ist dieses Thema nicht zuletzt deshalb schwierig, weil viele Vorkehrungen gegen das Weglaufen mit «freiheitsentziehenden Maßnahmen» gleichgesetzt werden könnten. Diese seien oft verboten, weil sie die Lebensqualität der Menschen unangemessen einschränkten. Demenzkranke ans Bett zu fesseln, sei nur in sehr engen Grenzen erlaubt, beispielsweise um eine Gefährdung Dritter auszuschließen, sagt Richter.

Türen im Heim farblich so zu streichen, als seien sie Teil einer Wand, sei gänzlich verboten. Auch Ritter sagt, letztlich müssten die Betroffenen beschäftigt werden, sich in der Einrichtung wohlfühlen. «Es geht doch darum, Lebensqualität zu schaffen.»


(dpa)

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