Verbraucher bekommen neue Klagerechte

Berlin – Viele getäuschte VW-Kunden haben darauf gewartet: Verbraucher sollen künftig durch Musterprozesse gegen Unternehmen einfacher zu ihrem Recht kommen. Der Bundestag beschloss nun die Einführung der sogenannten Musterfeststellungsklage.

Verbraucher sollen damit einen Anspruch auf Schadenersatz durchsetzen können, ohne dass sie selbst einen Prozess gegen ein Unternehmen anstrengen müssen. Die Auseinandersetzung vor Gericht übernehmen Verbraucherschutzverbände. Das Gesetz soll zum 1. November in Kraft treten, damit auch Betroffene des VW-Abgas-Skandals davon profitieren können, deren Schadenersatzansprüche Ende 2018 verjähren.

Wie funktionieren solche Klagen? Voraussetzung ist, dass eine gewisse Zahl von Menschen betroffen ist. In einem ersten Schritt muss der klagende Verband die Fälle von zehn Betroffenen aufarbeiten und auf dieser Basis eine Klage einreichen. Hält das Gericht die Klage für zulässig, wird sie öffentlich bekannt gemacht – und es wird ein Klageregister beim Bundesamt für Justiz eröffnet. Dort müssen sich weitere Betroffene melden: innerhalb von zwei Monaten mindestens 50 Menschen – 40 zusätzlich zu den ersten 10. Kommen nicht genügend Betroffene zusammen, ist keine
Musterfeststellungsklage möglich.

Nur bestimmte Verbraucherschutzverbände dürfen überhaupt klagen: Sie müssen seit mindestens vier Jahren auf der Liste jener Verbände stehen, die bereits heute Unterlassungsklagen einreichen dürfen. Außerdem müssen sie unter anderem mindestens 350 Mitglieder haben. Hinzu kommt noch eine Reihe europäischer Verbraucherschutzverbände.

Endet das Verfahren mit einem Urteil, müssen Betroffene ihre Schadenersatzansprüche noch per anschließender individueller Klage geltend machen. Dies ist zwar leichter, als den gesamten Fall alleine vor Gericht durchzustreiten. Wesentlich bequemer für Verbraucher ist aber, wenn es in dem Verfahren zu einem Vergleich kommt: Dann muss nicht jeder Klageregister-Gemeldete noch mal einzeln prozessieren.

Union und SPD hatten sich mit dem Vorhaben sehr beeilt, damit es vor Verjährung der Schadenersatzansprüche bei VW-Kunden in Kraft tritt. Sobald eine Musterklage eingereicht ist, ist die Verjährung gestoppt. Im Fall VW sollte das also gerade klappen. Denn Verbraucherschützer stehen längst in den Startlöchern, um hier für Betroffene zu klagen.

Gedacht sind solche Musterprozesse aber auch für andere Fälle: immer dann, wenn viele Verbraucher auf gleiche Weise Schaden erleiden – zum Beispiel bei unerlaubten Strompreiserhöhungen, unzulässigen Bankgebühren oder ungültigen Versicherungsverträgen.

Bundesjustizministerin Katarina Barley (SPD) sagte: «Bisher musste jeder Betroffene bei einem Schaden einzeln vor Gericht klagen.» Mit der «Eine-für-alle-Klage» ändere sich das. Verbraucher kämen nun schnell und ohne Kostenrisiko zu ihrem Recht.

Der oberste Verbraucherschützer in Deutschland, der Chef des Bundesverbands der Verbraucherzentralen, Klaus Müller, sprach von einem «Meilenstein». Zehn Jahre lang hätten die Verbraucherzentralen für solche Musterklagen gekämpft, mit dem Bundestagsbeschluss werde nun Rechtsgeschichte geschrieben.

Aus der Opposition und von verschiedenen Verbänden kam dagegen Kritik. Linke, Grüne, FDP und AfD beschwerten sich, die Koalition habe die Gesetzespläne im Eiltempo durch das parlamentarische Verfahren gepeitscht – ohne Rücksicht auf handwerkliche Mängel.

Oppositionspolitiker kritisierten unter anderem, das Prozedere sei für Verbraucher zu kompliziert, die Anmeldefristen beim Klageregister seien zu kurz und die mögliche Anschlussklage für Verbraucher aufwendig und unpraktikabel. «Das ist nicht Eine-für alle – das ist eine Mogelpackung», sagte etwa die Grünen-Politikerin Renate Künast.

Der Deutsche Anwaltverein kritisierte unter anderem, dass es nun einen Wettlauf klagebefugter Verbände zum Gericht geben werde. Die Deutsche Umwelthilfe wiederum, die selbst nicht die Voraussetzungen erfüllt, um solche Musterklagen einzureichen, sprach von einem «Klageverhinderungsgesetz». Die Koalition zeige damit, auf welcher Seite sie stehe: auf der der Konzerne, nicht der Verbraucher.


(dpa)

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