Sexuelle Gewalt: Langzeitfolgen und späte Hilfe

Hamburg – Sexueller Missbrauch ist schrecklich. Einige Opfer, darunter Kinder und Jugendliche, schweigen Jahre lang über das furchtbare Erlebnis. Wichtige Fragen und Antworten zum Thema.

Warum schweigen Kinder oder Jugendliche oft über das Verbrechen?

«Passiert es innerhalb der Familie, haben viele Kinder Angst, damit die Familie zu zerstören», sagt Prof. Michael Schulte-Markwort, Direktor der Klinik für Kinderpsychiatrie und -psychosomatik im Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf. Sie geben sich dann die Schuld dafür – und nicht dem Täter. Unter Gleichaltrigen haben viele Angst, danach in sozialen Netzwerken verfolgt zu werden. Und manche erleiden eine Art Amnesie, nehmen das grauenhafte Erlebnis in der Situation nicht war. «Es ruht dann in der Seele, es kommt vereinzelt zu Erinnerungen.»

Was können psychische Folgen von sexuellem Missbrauch im Kindes- oder Jugendalter sein?

«Sexueller Missbrauch ist eine schwere Form der Traumatisierung», sagt Schulte-Markwort. Die Folgen können etwa länger anhaltende Anpassungsstörungen, posttraumatische Belastungsstörung oder Selbstverletzung sein. Das kann bis ins Erwachsenenalter anhalten.

Wie sind die Verjährungsfristen bei sexuellem Missbrauch?

«Normalerweise beginnt im Strafrecht die Verjährungsfrist mit der Beendigung der Tat», erklärt Christina Clemm, Fachanwältin für Strafrecht aus Berlin. Bei Sexualstraftaten wie sexuellem Missbrauch ist das anders. Die Verjährungsfrist beginnt hier erst mit Vollendung des 30. Lebensjahres des Opfers und beträgt zum Beispiel bei Vergewaltigung oder schwerem sexuellen Missbrauch von Kindern 20 Jahre. Im Zivilrecht ruht die Verjährungsfrist bis zur Vollendung des 21. Lebensjahres der betroffenen Person und liegt dann bei 30 Jahren.

Was gibt es für staatliche Ansprüche für Opfer sexueller Gewalt?

Opfer haben etwa Anspruch auf Leistungen nach dem Opferentschädigungsgesetz (OEG). Das können zum Beispiel Heilbehandlungs- oder Fürsorgeleistungen sein. Ein Verurteilung des Täters ist dafür zwar nicht erforderlich. «Aber ohne eine Verurteilung ist ein Anspruch nach dem OEG schwer durchzusetzen», sagt Clemm. Opfer können außerdem Hilfe beim Fonds Sexueller Missbrauch im familiären Bereich beantragen.

Was sollten sich Opfer sexuelle Gewalt bewusst machen, wenn sie das Verbrechen erst Jahre später zur Anzeige bringen?

«Eine gute Lösung gibt es oft nicht», sagt Clemm. Häufig lassen sich Straftaten, die sehr lange Zeit zurückliegen, nicht mehr nachweisen. «Ich halte es für überaus notwendig, dass Betroffene genau über die rechtlichen Möglichkeiten informiert sind und ihnen die Verfahrensabläufe transparent sind», sagt Clemm. Dazu gehöre auch die Information, dass eine Strafanzeige häufig nicht zu einer Verurteilung führe, gerade wenn es sich um Vorfälle aus der Kindheit handelt.

Dennoch könne es wichtig sein, Anzeige zu erstatten – etwa weil es vielleicht doch zu einer Verurteilung kommt, um das jahrelange Schweigen zu brechen oder um den Ermittlungsbehörden mitzuteilen, dass aus Sicht der Betroffenen ein schweres Verbrechen begangen wurde.


(dpa/tmn)

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