Schumachers erstes WM-Wunder: Skandale, Tragödien & Triumphe

Berlin – Michael Schumachers Auto kommt in einer Kurve von der Ideallinie ab, rollt und rutscht übers Gras. Das rechte Vorderrad schrammt gegen die Betonmauer. Als der Kerpener seinen Benetton-Ford zurück auf die Strecke steuert, setzt dort Damon Hill gerade zum Überholen an.

Es ist der 13. November vor 25 Jahren im australischen Adelaide und der Moment, der über den Weltmeister einer denkwürdigen Formel-1-Saison entscheidet. Die beiden Autos berühren sich. Schumachers Benetton hebt mit der rechten Seite ab, kracht in die Reifenstapel. Der Deutsche muss aufgeben. Hill fährt weiter. Nur einen WM-Punkt liegt er hinter Schumacher. Aber der Brite kommt nicht weit. Er muss in die Box. Steigt kopfschüttelnd aus. Schumacher ist zum ersten Mal Champion.

«Es war ein sehr großer Kampf zwischen Damon und mir», sagte Schumacher damals. «Diese WM gewonnen zu haben, war ein Traum.» Er gewann sie letztlich am Fangzaun auf dem Fußweg zurück zu seinem Team mit einem Punkt mehr als Williams-Pilot Hill.

Der Erste, der Schumacher gratulieren wollte, war ein Streckenposten. Von den Rängen klopften Fans dem Rheinländer auf die Schulter, er strich sich ungläubig durchs Gesicht und die Haare. «Es war schrecklich, da draußen warten zu müssen. Aber es war unbeschreiblich, als es dann endlich feststand», erzählte Schumacher einmal. Drei Jahre nach seinem Renndebüt mitten in der Saison 1991 hatte der gelernte Kfz-Mechaniker am anderen Ende der Welt die Königsklasse des Motorsports endgültig erobert.

In Heppenheim lässt sich der damals gerade sieben Jahre alte Sebastian Vettel den WM-Triumph seines großen Idols trotz früher Morgenstunde nicht entgehen. «Ich kann mich noch erinnern, als die zwei kollidierten und Michael ausfiel. Wie er gezittert hat, vor dem Ungewissen stand. Als dann klar war, dass Damon Hill einen Defekt hatte, waren mein Vater und ich zuhause ganz aus dem Häuschen», erzählt Vettel in der RTL-Dokumentation «Die Michael-Schumacher-Story» (Mittwoch, 20.15 Uhr).

Wieder ein Jubiläum um den bis jetzt immer noch erfolgreichsten Piloten. Ob Michael Schumacher das auch in gut einem Jahr noch ist? Lewis Hamilton kann die Bestmarke von sieben WM-Titeln in der kommenden Saison egalisieren. Zu den 91 Rennsiegen Schumachers fehlen dem britischen Mercedes-Star noch acht Grand-Prix-Erfolge. «Michael zu erreichen, war nie ein Ziel für mich», sagte Hamilton jüngst. «Ich hätte gedacht, dass es nicht möglich ist, überhaupt nur in die Nähe von Michael zu kommen.»

Viele haben das gedacht. Aber egal, was passieren wird: Schumacher wird immer eine Richtgröße bleiben, einer, der die Grenzen des Erfolgs verschob. Die Saison, in der er seinen ersten WM-Titel holte, war dabei auch beispielhaft für seine gesamte Karriere.

Schumacher tritt in seinem Benetton-Ford gegen Hersteller-Ikonen wie Ferrari, McLaren und Williams an. Und Schumacher fährt erstmal allen davon, gewinnt in Brasilien und Japan. Er gewinnt auch in San Marino. Aber dieser Sieg tritt völlig in den Hintergrund. An einem schwarzen Wochenende sterben in Imola der Österreicher Roland Ratzenberger und die Ikone Ayrton Senna.

Schumacher fährt hinter dem dreimaligen Weltmeister aus Brasilien, als dieser in der Tamburello-Kurve mit dem Williams vom Kurs abkommt und mit großer Wucht eine Mauer kracht. Senna überlebt nicht. Die Formel 1 steht still – und geht doch irgendwie weiter. Schumacher gewinnt danach das Rennen in Monte Carlo. Und er beginnt seinen erfolgreichen Kampf für mehr Sicherheit im Motorsport.

Wie sehr ihn die Ereignisse aus seinem ersten Titeljahr mitnahmen, zeigt sich auch sechs Jahr später noch. Schumacher gewinnt im Ferrari das Heimrennen vor den Tifosi und stellt mit 41 Rennsiegen die Senna-Marke ein. Auf der Pressekonferenz ist er plötzlich nicht mehr der Unantastbare, Kontrollierte, Unterkühlte. Schumacher schluchzt, senkt den Kopf, weint.

Es dauert fast zwei Minuten, bis er sich wieder unter Kontrolle hat. Als der Moderator erneut auf die Einstellung der Senna-Marke zu sprechen kommt, sagt Schumacher nur: «Stellen Sie mir bitte eine andere Frage.» Am Ende der Saison 2000 gewinnt Schumacher erstmals mit Ferrari die WM.

«Er hat einen Maßstab an Dominanz gesetzt, auch wenn es manchmal kontrovers zuging», sagte Hill einmal über Schumacher. 1995 hatte sich der Brite ein weiteres Mal Schumacher geschlagen geben müssen. 1996 triumphierte Hill. «Michael war so etwas wie der Schleifstein zum Schärfen eines Messers. Er hat mein Spiel verbessert, weil ich es musste. Sonst hätte er mich zerstört», sagte Hill in der RTL-Doku.

Dass der Brite vor 25 Jahren mit nur einem Punkt weniger als Schumacher nach Adelaide gereist war, hatte Gründe, die eher bei Schumacher lagen. Schumacher wurde zweimal disqualifiziert, zweimal durfte er nicht starten. Skandale. Mal stimmte was nicht mit dem Unterboden, mal ignorierte Schumacher schwarze Flaggen. «Es war die Saison, die den Beinamen ‚Schummel-Schumi‘ hervorbrachte», heißt es in der Biografie «Michael Schumacher».

Es war aber vor allem die Saison, die in dieser 36. Runde in Adelaide entschieden wurde und Michael Schumacher zum ersten deutschen Formel-1-Weltmeister machte. Glorreiche Erinnerungen, die das Idol Schumacher immer wieder ins Gespräch bringen.

Der gebürtige Kerpener selbst ist seit seinem Skisturz Ende 2013 aus der Öffentlichkeit komplett verschwunden. Der inzwischen 50-Jährige erholt sich weiter von den Folgen des schweren Schädel-Hirn-Traumas, das er sich zugezogen hat. Der Mythos Schumacher aber ist an diesem sporthistorischen 13. November 2019 so stark wie eh und je.


(dpa)

(dpa)