Fußball zwischen Regeneration und Belastung

Leipzig – Timo Werner ist ein Paradebeispiel. «Wir haben versucht, ihn behutsam aufzubauen und ihm immer wieder mehr Spielzeit zu geben», sagt sein Vereinstrainer Ralph Hasenhüttl.

Werner, der beste deutsche Torjäger der vergangenen Saison, war unlängst verletzt. Sein Coach vermutete, dass neben der körperlichen Belastung auch die mentale Drucksituation für den 21 Jahre alten Mittelstürmer von RB Leipzig zuletzt ihren Tribut forderte. Bundesliga, Champions League, DFB-Pokal und Nationalmannschaft – bei vielen Spielen und kurzen Pausen wird das richtige Maß an Regeneration immer wichtiger. Andere Sportarten kennen das Problem längst.

Werner musste zunächst beim Training pausieren und seine Teilnahme an den letzten WM-Qualifikationsspielen der deutschen Nationalmannschaft vor vier Wochen absagen. In kleinen Schritten wurde er unter ärztlicher Betreuung wieder herangeführt, jetzt ist der Angreifer rechtzeitig vor den Testländerspielen in England am Freitag und gegen Frankreich am kommenden Dienstag wieder voll belastbar.

Nicht nur beim Bundesliga-Zweiten in Leipzig geben medizinische und leistungsdiagnostische Ergebnisse auch Ausschlag über die Einsatzpläne der Profis. Diese Parameter sind im modernen Fußball nicht mehr wegzudenken. Im Mittelpunkt steht die optimale Leistung. Erst recht in den Englischen Wochen, die für die Nationalspieler auch in der Ligapause praktisch weitergehen.

Regeneration ist einer der wichtigsten Faktoren. «Drei Tage sind das absolute Minimum, um sich nach einem Fußballspiel physisch komplett zu regenerieren», sagt Prof. Dr. Tim Meyer. Der 50 Jahre alte Arzt betreut seit 2001 die deutsche Nationalmannschaft.

Drei Tage? Was ist dann mit Handballern, die sich schon freuen, zumindest einen Tag Pause nach Spielen bei großen Turnieren zu haben? Oder mit Eishockey-Spielern? Basketballern? Vor allem mit denen in der NHL oder der NBA, wo noch echte Reisestrapazen hinzukommen?

«Ich glaube nicht, dass Fußballer prinzipiell länger brauchen, um sich zu regenerieren. Der Organismus funktioniert nicht anders als beispielsweise bei Handballern», sagt Meyer. Er hält die Spielpläne bei einer Handball-WM auch nicht für geeignet für eine ausreichende Regeneration. «Mit einem anderen Rhythmus könnten die Handballer vermutlich besser spielen», sagt er.

Dem würde Ex-Nationalspieler Oliver Roggisch (39) wohl auch gar nicht widersprechen. Der Teammanager der DHB-Auswahl weiß: «Den Spielern ausreichend Zeit zur Regeneration zu geben, wird im Handball extrem schwierig. Es ist fast schon gang und gäbe, dass die Spitzenclubs im Rhythmus Samstag-Mittwoch-Samstag spielen.» Von einer gewissen Routine spricht Marcel Goc, 34 Jahre alter Kapitän der deutschen Eishockey-Nationalmannschaft und ehemaliger NHL–Profi mit 636 Einsätzen.

Diese Routine stelle sich bei zwei Spielen am Wochenende ein. «Bei drei Partien pro Woche muss man das Pensum anpassen. Man muss in seinen Körper hören und ein Gespür dafür entwickeln, was er braucht», sagt Goc. Um die Belastung optimal zu meistern, komme es auf die richtige Regeneration an, betont der Profi von den Mannheimer Adlern. Problem nur: In diesem Jahr kommt mit den Olympischen Spielen im Februar eine weitere Belastung zum ohnehin engen Zeitplan hinzu.

Was tun, wenn im Eishockey oder Handball die Abläufe die Regeneration so erschweren? «Bei vielen Spielen schauen wir beispielsweise, dass wir Chartermaschinen buchen und die Spieler direkt nach dem Spiel nach Hause bekommen», erklärt Roggisch. Man sei da schon sehr weit in der Entwicklung. Im Handball gibt es aber Grenzen, finanzielle. Die Sache mit den Chartermaschinen sei auch nicht immer möglich, «weil es vom Budget abhängt», erklärt Roggisch.

Vorteil Fußball. Am Geld dürften auf dem höchsten Level derartige Schonungsmaßnahmen nicht scheitern. Da werden auch Charterflüge mal kurzfristig wegen eines Geheimtrainings um ein paar Stunden verschoben, wie jüngst von Werners Club RB Leipzig vor dem Champions-League-Spiel beim FC Porto (1:3).

Immer geht es darum, in den entscheidenden Momenten die optimale Leistung zu bringen, sei es bei Werner auf dem Rasen, bei Goc auf dem Eis oder bei Dirk Nowitzki auf dem Parkett der NBA. Dort wurden die Back-to-Back-Spiele – Partien an aufeinanderfolgenden Abenden gesenkt: Vier Spiele an fünf Abenden sind nun verboten. Nowitzki muss mit den Dallas Mavericks dennoch in dieser Saison 15 Mal an aufeinanderfolgenden Abenden antreten. Für einen 39-Jährigen wie Nowitzki eine enorme Belastung.

«Über die Jahre werden deine Muskeln ein wenig steifer, wenn du morgens anfängst», sagt er. Seine offensichtlich weniger grazile morgendliche Motorik beim Training brachte ihm bereits den Spitznamen «Big Mummy» (große Mumie) ein. Um die Strapazen einer NBA-Saison zu verkraften, trainiert Nowitzki unter anderem in den vier oder fünf Wochen vor dem Liga-Beginn sechsmal die Woche im Kraftraum. Zudem macht er inzwischen auch Yoga und bereut es, sich nicht früher schon vor und nach den Spiel gestretcht zu haben.

Eine bewusste Ernährung ist mittlerweile auch eine Selbstverständlichkeit. Als er vor 20 Jahren in die NBA kam, sei es normal für Spieler gewesen, Cheeseburger und Chicken Fingers vor Spielen zu essen. «Damals habe ich Limo getrunken», schrieb Nowitzki vor zwei Jahren in einem Blogbeitrag. Zudem habe er viel Eiscreme gegessen. «Das gibt’s nicht mehr». Eine angemessene Ernährung und Schlaf sind laut Nationalmannschafts-Arzt Meyer von allen Regenerationsmaßnahmen die wichtigsten.

Bei allem kommt es auf die optimale Dosierung an. Allein viel und oft zu trainieren wird nicht die erhofften Effekte bringen, genauso wie zu wenig. «Ein Übertraining kann genauso zu mentaler Müdigkeit und Konzentrationsschwäche führen wie eine zu schwache Physis», sagt Physiotherapeut Daniel Schlösser. Der achtmalige Ironman-Finisher trainierte von 2010 an Nico Rosberg und machte ihn fit für den Weltmeister-Titel 2016.

Sie justierten das Training immer wieder nach, setzten neue Reize, reduzierten aber irgendwann auch den Umfang. «Wir waren der Ansicht, dass die Regeneration und damit die mentale Frische am Rennwochenende ab einem bestimmten Trainingsumfang leidet», erklärt Schlösser.

Denn vor allem im und mit dem Kopf werden Spiele und Rennen gewonnen. «Es geht um die Einstellung und die mentale Stärke, die sich ein Profisportler antrainiert», sagt der viermalige Formel-1-Weltmeister Sebastian Vettel in einem Interview im FIFA-Magazin. Es ging um die Frage, ob ein Fußballer die mentale Kraft hätte, ein Formel-1-Rennen zu bestreiten.

«Ein Spiel in der Champions League oder mit der Nationalmannschaft ist schon eine mentale Extrembelastung», sagte Werners Vereinstrainer Hasenhüttl, als sein Torjäger wegen einer Blockade der Halswirbelmuskulatur und des Kiefergelenks pausieren musste. «Und wenn ein Stürmer viele Tore schießt und dadurch einen positiven Stress erzeugt, ist das schön für den Stürmer, unterm Strich aber eine enorme Belastung», sagte der RB-Coach.


(dpa)

(dpa)