England und die «großen K»: Premier League dominiert Europa

Baku/Madrid – Am Anfang stand die Überheblichkeit. «Es wird ein zu großer Hype um das Geld aus der Premier League gemacht», sagte der deutsche Fußball-Manager Christian Heidel im Sommer 2015. «Die Engländer geben irre Gehälter für durchschnittliche Spieler aus.»

Vier Jahre später sieht die Realität so aus: Zum ersten Mal in der Geschichte des Fußballs wird in dieser Woche nur eine Liga alle Teilnehmer der beiden Europapokal-Endspiele stellen. FC Chelsea gegen FC Arsenal in der Europa League (Mittwoch, 21.00 Uhr/RTL, Nitro, DAZN). Tottenham Hotspur gegen FC Liverpool in der Champions League (Samstag, 21.00 Uhr/Sky, DAZN). Und Heidel ist seit drei Monaten nicht mehr Sportvorstand des FC Schalke 04. Ihm wurde unter anderem zum Verhängnis, mehr als 50 Millionen Euro für Spieler wie Nabil Bentaleb, Breel Embolo und Jewgeni Konopljanka ausgegeben zu haben.

Mittlerweile sind sich fast alle einig: «Die beste Liga ist in England», wie selbst der Bayern-Trainer Niko Kovac nach dem Final-Einzug von Liverpool und Tottenham in der Champions League eingestehen musste. Die große Dominanz der spanischen Teams, die in den vergangenen zehn Jahren 13 von 20 Europapokal-Endspielen gewannen, wird an diesem Samstagabend ausgerechnet im neuen Stadion Wanda Metropolitano von Madrid zu Ende gehen.

Natürlich hat diese Entwicklung etwas mit den gewaltigen finanziellen Ressourcen der Premier League zu tun. Zum Vergleich: An Englands Eliteclubs werden aktuell rund 2,3 Milliarden Euro pro Saison an Fernsehgeldern verteilt. Die deutsche Bundesliga erlöst mit ihrem bis 2021 gültigen Rekordvertrag im Schnitt rund 1,16 Milliarden pro Spielzeit. Und natürlich haben Liverpool und Tottenham in dieser Saison auch davon profitiert, dass Clubs wie Bayern München, Real Madrid oder der FC Barcelona ein wenig zu alt, ein wenig zu satt oder ein wenig zu beeindruckt waren, um es in dieses Finale zu schaffen.

Ein Grund für die Power der Premier League ist aber auch, dass Experten wie Heidel eben nicht Recht behalten haben mit ihrer Einschätzung, dass die Engländer ihr vieles Geld schon sinnlos verprassen werden. Tatsächlich ist bei allen Spitzenclubs bis auf den früheren Serienmeister Manchester United das Gegenteil passiert. Etwas, dass der England-Liebhaber und RB-Leipzig-Trainer Ralf Rangnick im Sport1-«Doppelpass» mit den «drei großen K» umschrieb: «Kapital, Konzept und Kompetenz: Das kommt da alles zusammen.»

Die vier Europacup-Finalisten werde von einem Deutschen (Liverpool), einem Argentinier (Tottenham), einem Italiener (Chelsea) und einem Spanier (Arsenal) trainiert. Nimmt man dann noch Pep Guardiola vom englischen 98-Punkte-Meister Manchester City dazu, hat die Premier League nicht nur die besten Trainer der Welt importiert, sondern mit ihnen auch alle relevanten taktischen Einflüsse und Neuerungen.

Jürgen Klopp (2015 zum FC Liverpool), Pep Guardiola (2016 zu Manchester City) und Mauricio Pochettino (2014 zu Tottenham Hotspur) prägen ihre Clubs dazu schon seit mehr als drei Jahren. «Sie sind nicht nur Trainer ihrer Mannschaften, sondern auch Manager im englischen Sinne. Bei denen kommt kein einziger Spieler, ohne dass sie ihn selber holen wollen», sagte Rangnick zu diesem Modell.

Alle drei Teams sind deshalb zwar auch mit mal mehr (Man City) und mal weniger (Tottenham) großem finanziellen Aufwand zusammengestellt worden – aber eben auch nach einem klaren Plan und über mehrere Jahre hinweg. Dass ein Trainer wie Niko Kovac in München erst einmal gesagt bekommt, welche Spieler er nicht holen soll oder dass sich ein Trainer wie Thomas Tuchel bei Paris Saint-Germain in dieser Frage monatelang mit seinem Sportdirektor herumstreitet: All das ist in Liverpool oder bei Manchester City nicht vorstellbar.

Der deutsche Nationaltorwart Bernd Leno ist 2018 von Bayer Leverkusen zum FC Arsenal gewechselt und möchte mit seinem Club am Mittwoch die Europa League gewinnen. Über die Premier League sagte er dem «Kicker» (Montag): «Die anderen Ligen sind natürlich keinesfalls abgeschlagen. In Spanien gibt es Real und Barça, in Deutschland Bayern München, in der vergangenen Spielzeit auch Dortmund. Aber in der Breite ist die Premier League schon sehr stark aufgestellt.» Der Wettbewerb in England härtet dort jeden Club auch für den Wettbewerb in Europa ab.

In England gebe es «jedes Wochenende ein Topspiel», so Leno weiter. «Neben den Top 6 haben auch alle anderen Vereine große finanzielle Möglichkeiten, die Vereine anderer Ligen nicht haben. Das wirkt sich auf Dauer auch sportlich aus. Wenn der Zehnte der Premier League mit einem Club aus einem anderen Land um einen Spieler buhlt, hat der andere Club finanziell einfach keine Chance.» Sein Fazit: «In England passiert etwas, das spürt man. Hier wird gute Arbeit geleistet.»


(dpa)

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